Mag. Michał „Mitch” Peciakowski gilt als Pionier, wenn es um Volleyball-Nachwuchsarbeit im Waldviertel geht. Im Interview spannt er den Bogen viel weiter und gibt zum Teil wissenschaftliche Einblicke in wichtige Phasen der Erziehung: Für junge und werdende Eltern, Lehrer und Pädagogen gleichermaßen interessant.

Seit wann arbeitest du mit Kindern zum Thema Bewegung?
Vor 11 Jahren bin ich in Österreich in Graz gelandet und hab dort am Anfang nur spontan dem Nachwuchstrainer-Guru Anton Fichtinger ausgeholfen. Nach einiger Zeit hab‘ ich mit einem Volksschulprojekt angefangen und bekam meine erste Trainingsgruppe: U12/2.

Warum ist es wichtig, mit Bewegung schon bei den Kleinsten zu starten?
Ich bin davon überzeugt, vor allem nachdem ich Vater von drei Kindern bin, dass man mit Bewegung bei den Kindern starten muss. Kinder kommen mit diversen richtigen Instinkten zur Welt und unsere Aufgabe ist es, diese zu pflegen und eventuell in die richtige Richtung zu steuern. Die Kids springen, laufen und raufen von alleine. Sie fangen und werfen. Sie sprinten, spielen Spiele, balancieren, schaukeln und krabbeln. Richtig wäre es, einem Kind die Umgebung zu verschaffen, wo es alle diese Tätigkeiten ausüben darf, anstatt es zu verbieten und beispielsweise mit TV oder Computer zu ersetzen. Es ist unheimlich wichtig diese Instinkte zu bestätigen. Somit wird das Kind Bewegung immer lieben und bleibt fit, stark und gesund.

Welche sportlichen Tätigkeiten stehen zu Beginn – im Kindergarten und Volksschulalter – im Vordergrund?
Die Trainingslehre betont die Wichtigkeit der ersten Etappen einer Sportkarriere. Das ist wie die Volksschule für das Leben. Je vielseitiger die Ausbildung ist, desto mehr Chancen auf einen Erfolg und eine verletzungsfreie Karriere sowie gesundes Leben hat man.
Als „sensible Phasen“ bezeichnet man die im Kindesalter vorkommenden Perioden, in denen das Kind eine besondere Sensibilität zum Erwerb bestimmter Fähigkeiten zeigt. In diesen Phasen lernt das Kind besonders intensiv und motiviert. Werden die sensiblen Phasen verpasst, lernt das Kind die betreffenden Inhalte nicht mehr so intensiv und mit Freude, sondern nur durch Anstrengung und großen Willen. Vor allem im Kindergarten- und Volksschulalter sollte die richtige motorische Entwicklung der Kinder mit besonderer Rücksichtnahme auf die sensiblen Phasen stark gefördert werden. Außer Ausdauer und Kraft ist in der 2. pubertären Phase (ca. 18.-19. Lebensjahr) fast nichts mehr effektiv trainierbar. Vor allem die für Volleyball wichtigen Faktoren wie Schnelligkeit, Sprungkraft, Reaktions-, Rhythmus- und Orientierungsfähigkeit, aber auch die Beweglichkeit, sind nur im Schulkindalter (6.-12. Lebensjahr) zu erwerben.
Es gibt zwei Zugänge: entweder schaut man in die Bücher und lernt es, wann ein Kind gewisse Fertigkeiten erlernen soll oder… man beobachtet die Kinder und lässt sie das machen, wofür sie gerade brennen.

Welche wichtigen Charaktereigenschaften für das spätere Leben können durch sportliche Tätigkeiten vermittelt werden?
Diverse Sportarten haben verschiedene Eigenschaften anzubieten und sprechen daher verschiedene Personen an. Bogenschießen wird beispielsweise weniger mit Teamgeist als Volleyball oder Fußball zu tun haben. Die innere Ruhe und den Fokus auf sich selbst sowie Konzentration und Geduld wird man aber eher in der ersten Sportart erwerben und ausbauen können. Im Sport wird man jedoch überall mit Disziplin, Pünktlichkeit, Auffassungsvermögen, Verstehen und Umsetzen, Respekt, Fair-Play, Konzentration, Fitness, gesunder Ernährung, Erfolge feiern, Niederlagen verkraften, Motivation, körperliche Hygiene und so weiter zu tun haben. Das sind alles Basiselemente, die uns besser machen.

Kann man es als Eltern mit den Anforderungen an seine Kinder übertreiben?
Natürlich. Das kann passieren. Ein übermotivierter Papa oder eine zu ehrgeizige Mama kann bei einem Kind die Leidenschaft für eine Sportart verderben. Trotzdem denke ich, dass die Eltern, die die Kinder zum Trainieren motivieren, auf dem richtigeren Weg sind, als die, die kein Interesse daran zeigen.

Wie schafft man es heutzutage, Kinder und Jugendliche von Smartphone und Computer wegzubekommen?
Jedes Problem hat einen Ursprung. Wenn man sich die von dir gestellte Frage stellen muss, so mussten die Kinder zuerst dazu gebracht werden, mit Handy und PC zu übertreiben. Im Leben gibt es auch Platz für andere Sachen als Sport. Auch für Spiele und Kommunikation über elektronische Geräte. Man soll aber dem Kind einen gesunden Zugang dazu verschaffen und, was am Wichtigsten ist, selbst ein gutes Vorbild sein. Kinder werden nicht mit einem Instinkt, Handys zu benutzen, geboren. In meinen Augen könnte ein PC-abhängiges GamerKind ein potentieller TopSportler sein. Er spielt ja die ganze Zeit. Er will gewinnen. Er recherchiert in YouTube, um besser zu werden. Leider hat aber jemand seine Instinkte in die falsche Richtung gesteuert.

Ist es in der Praxis tatsächlich so, dass im Schulalltag Schüler nur Computer- und Handyspiele im Kopf haben?
Als das Radio auch als Unterhaltungsinstrument zu Beginn der 1900er-Jahre etabliert wurde, haben auch alle gedacht, dass ab jetzt alle Kinder nur noch vor‘m Radio sitzen würden. Mir kommt es nicht so vor, dass die Kinder NUR Computer- und Handyspiele im Kopf haben. Ich arbeite mit ganz vielen Kids, die für Sport richtig brennen. Sport gibt ihnen die Möglichkeit, das Handy einmal wieder für zwei Stunden nicht zu benutzen.

Glaubst du, dass Kinder im Waldviertel eher sportlich und mit der Natur aufwachsen als vergleichsweise in größeren Städten?
Absolut. Die Kinder im Waldviertel haben mit der Natur und Bewegung viel mehr zu tun. Ich bin ein geborener Warschauer und bin aus Überzeugung ein Arbesbacher geworden, weil ich bei uns im Waldviertel meinen Kindern das schenken kann, was in einer Stadt einfach nicht geht.
Natürlich gibt es auch in Wien, Berlin, Paris oder Warschau hunderte sportliche Kinder. Wenn ich aber während meiner Ausbildung manche Schulen in Wien besucht habe, so gab es doch sehr häufig Extrembeispiele zu sehen. Es gibt Kinder, die sich schwer damit tun, im Kreis zu laufen.
Wir werden immer besser versorgt, haben immer mehr Möglichkeiten schnell, per Handy, Sachen zu erledigen. Wir müssen uns immer weniger bewegen. Dies ist aber erst in den letzten 50 Jahren so weit gekommen, ein Mensch ist nach wie vor für Bewegung programmiert. Man muss Kindern den Weg zu einem aktiven Leben ermöglichen.

Kann die tägliche Stunde Sport in der Schule dazu überhaupt genug sein?
Eine tägliche Stunde Sport ist immer noch mehr als zwei Stunden in der Woche. Wenn ich die Energie meiner Kinder beobachte, denke ich manchmal, dass sie in der Lage sind, 10 Stunden pro Tag zu sporteln. Ich bin ein großer Fan der Schule, an der ich tätig bin. Hier, aber mittlerweile auch in vielen anderen Schulen, hat man erkannt, die Kindern zum richtigen Zeitpunkt in deren Entwicklung ausreichend Sport am Tag anzubieten. Fitte Kinder lernen besser und sind besser organisiert.

Wie kann oder soll man deiner Meinung nach Kinder belohnen?
Am besten mit Zeit, die man den Kindern schenkt. Die Kinder müssen es spüren, dass man für sie da ist. Und sie müssen stolz auf sich selbst sein können. So bauen wir gesunde Persönlichkeiten auf. Dieselbe Frage habe ich mit meinen Kindern diskutiert und letztendlich haben wir uns darauf geeinigt, dass Liegestütze keine sinnvolle Bestrafung und Süßigkeiten keine sinnvolle Belohnung sein können. Wieso soll eine Strafe gesund und eine Belohnung ungesund sein?

Wie sehr spielt Bewegung bei dir privat in der Familie eine Rolle?
Meine Frau und ich sind beziehungsweise waren beide Profisportler. Marianna ist sozusagen auf der Sportuni in Warschau aufgewachsen, wo ihr Opa als Professor die Wintersportabteilung geleitet hat und die Oma als Doktorin unterrichtete. Schon ihre beiden Eltern haben professionell Basketball und meine Eltern haben beide Volleyball gespielt. Durch Sport haben wir uns gefunden und gemeinsam sehr viel erlebt. Sport hat uns ins Waldviertel gebracht. Wir lieben Sport und Bewegung und versuchen vor allem als Vorbilder unsere eigenen Kinder zu begeistern. Kinder sind ein Schatz unserer Gesellschaft und sie mit Liebe für Bewegung und Sport zu begeistern, ist für mich eine Mission.